27.04.2020
JACK in der aktuellen Corona-Lage
Zum 16.03.2020 stellte die Bildungsstätte JACK den Kursbetrieb als Vorsichtsmaßnahme gegen die Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 vorübergehend ein, angelehnt an die allgemeinbildenden Schulen, die Kitas und die Einrichtungen der Erwachsenenbildung (z. B. Volkshochschulen).
Wir riefen die seinerzeit genau 100 Kursteilnehmerinnen unserer acht Deutsch- und Alphabetisierungskurse an und erklärten ihnen, dass zunächst drei Wochen lang und anschließend in den zwei Wochen Osterferien kein Unterricht stattfinden wird. Zum damaligen Stand schien der 20. April für die Wiederaufnahme der Kurse immerhin nicht undenkbar. Teilweise gaben wir den Frauen Tipps mit auf den Weg, wie sie währenddessen von zuhause aus weiter Deutsch lernen können, z.B. mit einschlägigen Internetseiten, Lernvideos oder Apps.
Was ist in den Wochen der Schließung geschehen?
Uns war von Anfang an wichtig, dass die Schülerinnen untereinander in Kontakt bleiben, und wir waren uns ebenso bewusst, dass die Kurse eine Anleitung durch die Dozentinnen benötigen. Daher haben wir die Kursteilnehmerinnen von JACK noch einmal kontaktiert und sie alle ihren Deutschkursen entsprechend per Handy in Lerngruppen eingeteilt. Bis auf wenige Schülerinnen konnten wir alle erreichen. Positiver Nebeneffekt: Vereinzelt nahmen wir zusätzlich Schülerinnen in diese Handygruppen auf, die momentan nicht im JACK-Deutschkurs sind, z. B. weil sie in Babypause sind oder weil sie umgezogen waren und unsere Kurse nicht mehr besuchen konnten. Diese Frauen freuen sich, jetzt von zuhause aus Teil eines Deutschkurses zu sein – definitiv eine Methode, die wir uns für die Zeit nach der Coronapause merken wollen. In den Lerngruppen schicken die Dozentinnen Übungen, Links zu Arbeitsblättern, Text-, Sprach-, oder Videonachrichten u.v.m. Teilweise ist eigenes digitales Lehrmaterial entstanden, z.B. Fotos mit Alltagsgegenständen, die von den Schülerinnen beschrieben werden sollen, oder Videos, die dazu dienen, bestimmte grammatische Zusammenhänge zu erklären. Die Schülerinnen bearbeiten die Übungen und Arbeitsblätter und reichen ihre Lösungen ein, welche die Lehrerinnen korrigieren. Außerdem schicken die Kursteilnehmerinnen Text- oder Sprachnachrichten, und bleiben so im schriftlichen und mündlichen Deutsch in der Übung.
Darüber hinaus erfüllen die Gruppen aber auch noch die Funktionen des In-Kontakt-Bleibens und des Informationsaustauschs für die Kursteilnehmerinnen. Rezepte werden miteinander geteilt, nach dem Wohlbefinden gefragt, Tipps zum Fitbleiben und für Spiele mit den Kindern kursieren. Besonders in den ersten Wochen, als der Umgang mit Corona neu war und besonders viele Informationen, Richtlinien, Verhaltensweisen, Risikoeinschätzungen u.w.m. erschienen, wurde deutlich, dass für die Frauen wenig verlässliche Informationen zugänglich waren. Zum einen wurden Texte, die für die Situation in Deutschland oder in Berlin relevant waren, nur sehr langsam in andere Sprachen übersetzt. Zum anderen haben wir unter den Schülerinnen viele, die gar nicht lesen oder schreiben können, und noch mehr, die über wenig Erfahrung im Umgang mit Medien verfügen. Sie können teils schwer einordnen, welche Informationen richtig und falsch sind, und was verlässliche Quellen sind. So leisteten wir neben dem Deutschkursanleiten auch Aufklärungsarbeit.
Die Kurse „funktionieren“ unterschiedlich gut, denn es gibt viele Frauen, die gerne mitmachen und denen dies leichtfällt, und ebenso welche, die nicht so gut mit dieser Form zurechtkommen oder die mit der Betreuung ihrer Kinder zuhause keine Zeit dafür haben. Ähnliche Unterschiede gab es sicherlich auch schon in unseren Kursen, die im Klassenzimmer stattfinden. Doch in der Home-Schooling-Version sticht doch das Gefälle jung/alt bzw. alphabetisiert/nicht alphabetisiert ins Auge.
Neben den Deutschkursen bleibt ein Büroteam weiterhin am Ball: Neue Verträge mit einer Bundesfreiwilligen und einer Praktikantin der Sozialen Arbeit bahnen sich an; die übliche Verwaltungsarbeit läuft weiter, es kommen weiterhin Anfragen an die Projektleitung herein. In den Kinderbetreuungsräumen, die seit Monaten renoviert und verschönert werden, ist nun Zeit für die letzten Einkäufe und Handgriffe, da die Räume leer stehen. Fortbildungen zum Thema Erziehung mit Ehrenamtlichen und Müttern werden geplant. Und der Garten, den eigentlich im Frühling jedes Jahr unsere Gartengruppe aus dem Winterschlaf holt, wird nun von den wenigen Anwesenden gepflegt – sicherlich nicht der unangenehmste Teil der Büroarbeit im Moment.
Erfreulicherweise besteht eine außerkursliche Gruppe auch weiterhin: Die ehrenamtliche Leiterin unseres Capoeira-Kurses versorgt ihre Kursteilnehmerinnen mit selbstgedrehten Trainingsvideos, die die Frauen dann zuhause ausprobieren können.
Pilotprojekt: Deutschkurse virtuell
Mit dem 20.04. sind die Osterferien beendet. Der Unterricht wird nun systematischer auf digitale Formate ausgerichtet werden. Alle Dozentinnen und die Projektleitung sind dazu im regen Austausch. Nicht nur haben wir so etwas noch nie getan, auch sind die beschränkten Zugänge zu digitalen Geräten und Medien bei unserer Zielgruppe eine Herausforderung. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit der VHS Neukölln können wir zwei Online-Programme nutzen, die diese anbietet. Dabei müssen wir neben der Beachtung des Datenschutzes und der Schutzbedürftigkeit der Frauen bei JACK auch überlegen, wie wir die Schülerinnen möglichst alle ins Boot holen. Eins hat sich aber schon gezeigt: Wir sind sogar ein wenig froh über diesen aus der Not geborenen Druck, das Spektrum der Unterrichtsformate zu erweitern. Wir wollen das auf jeden Fall auch nach einer Rückkehr zum Präsenzunterricht beibehalten, öfter in den Unterricht einbinden und im übertragenen Sinn z.B. erkrankten Schülerinnen virtuell einen Stuhl in ihrer Klasse bereitstellen. Es ist zudem nicht auszuschließen, dass im Zuge der Eindämmung zukünftiger Infektionswellen wochenweise Schließungen erneut beschlossen werden. So sind wir besser dafür gewappnet, und die Schülerinnen haben die so wichtigen digitalen Kompetenzen erworben.
Wir freuen uns, dass wir mit unseren acht Kursen Teil eines Pilotprojekts geworden sind. Aufgrund der Kooperation mit der Volkshochschule Neukölln bieten wir unsere Kurse mit o. g. Formaten online an. Ein großer Vorteil dabei ist die enge Zusammenarbeit unseres relativ kleinen Teams aus Dozentinnen, Ehrenamtlichen und Projektleitung. Für uns war es schon immer selbstverständlich, mit den Schülerinnen Kontakt zu halten, nachzufragen, warum Frauen eine Weile nicht zum Kurs kommen konnten und uns über den Lernfortschritt jeder einzelne Schülerin Gedanken zu machen. Diese ganzheitliche und kleinteilige Arbeit hilft uns nun, so viele Schülerinnen zu erreichen. Wir bedanken uns sehr herzlich bei unseren überaus engagierten und vor Ideen sprühenden Dozentinnen und auch bei unseren Kooperationspartnern in der Volkshochschule Neukölln!
„Vielen Dank für diese Idee. Ich möchte lernen.“ – „Hallo, ich hoffe, geht’s dir gut. Ich habe heute mit meinen Kindern gespielt und ich habe gekocht. Jetzt habe ich Deutsch gelernt.“ – Aus den Lerngruppen
Was steht der Bildungsstätte JACK bevor?
Wie lange JACK noch geschlossen bleiben wird, ist schwer absehbar. Ebenso unklar ist, wie sich jeglicher Unterricht nach der Öffnung gestaltet. Es gilt, bestimmte Dinge zu bedenken, wie etwa die weiten Anfahrtswege der Schülerinnen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, die Zugehörigkeit vieler Frauen zu verschiedenen Risikogruppen, die räumlichen Verhältnisse vor Ort, aber nicht zuletzt auch die Frage nach der Kinderbetreuung: Es gibt allgemein Signale, die Wiederaufnahme der Betreuung der kleinsten Kinder in den Kitas auch nach den Schulöffnungen noch weiter hinauszuzögern, weil Abstand zu halten in dieser Gruppe natürlich sehr schwierig ist. Auch in unserer Einrichtung ist das nicht anders, und JACK hat doch eine so wichtige Aufgabe in der Betreuung der Kinder jener Frauen, die sonst vom Unterricht ausgeschlossen sind.
Nachdem die Deutschkurse recht stabil in Kontakt sind, möchten wir auch zu den Kindern aus unserer Kinderbetreuung aufnehmen. Denkbar sind etwa, Videos mit gemeinsamem Liedersingen zu erstellen oder etwas vorzulesen. Auch bestehen Überlegungen zur (Re-)Aktivierung der Ehrenamtlichen. Wir denken etwa an telefonische Nachhilfe, eine virtuelle Konversationsgruppe, Bastelgruppe etc.
Für die Professionalisierung der Online-Kurse haben wir die Idee, uns z.B. bei Firmen nach gebrauchten Tablets umzusehen. Wir könnten diese Tablets an die Schülerinnen zu Hause verteilen, die dann besser als auf dem Handy die Apps und Lernportale nutzen können. Auch Einzelgeräte, gespendet von Privatpersonen, würden uns natürlich schon helfen. Die Geräte würden wir wie auch in Zukunft in unseren regulären Kursen vermehrt einsetzen. Melden Sie sich gerne bei uns.
Durch die Herausforderungen der aktuellen Situation haben wir in den letzten sechs Wochen schon viel dazugelernt. Wir hoffen, dass wir mit Schülerinnen, Dozentinnen, Ehrenamtlichen und Kooperationspartnern weiterhin so gut zusammenarbeiten können. Und nicht zuletzt hoffen wir, dass alle diese Krise möglichst unbeschadet überstehen.